Kategorien
Kurzgeschichten

Der Waldweg

Die Bäume um ihm herum und der steinige Pfad, auf dem er wanderte, wiesen ihm den Weg, doch wohin war ihm nicht klar.
Vom Nichts getrieben setzte er einen Fuß nach dem anderen, nur die Bewohner des Waldes nahmen seine Anwesenheit wahr. Seine Gedanken strömten wie ein Fluss, seine Beine trugen ihn wie Säulen, er atmete ein und war der Natur näher als je zuvor in seinem Leben. Er lauschte den friedlichen Klang der Natur, als er den Weg immer tiefer in den Wald hinein wanderte. Das Eichhörnchen beurteilte jeden seiner Schritte, der Specht pausierte seine harte Arbeit und der Fuchs gab wie immer acht. Insekten tanzten wie kleine Feen um das saftige Grün, der Wind streichelte die Bäume, die Sonne schien sanft durch die Baumkronen und der Wanderer atmete aus vor Glück. Ihm gingen keinerlei Gedanken durch den Kopf, viel mehr waren es Bilder. Szenen des Glücks. Er fühlte, wie schön das Leben sein konnte, wenn man der Natur einfach mal nur zuhörte.
Die kleinen Steine unter seinen Schuhen knirschten im Rhythmus seiner Schritte. Das Ziel war die Ziellosigkeit, er erinnerte sich, um zu vergessen. Die Umgebung half ihm dabei, die Schritte hinter ihm wurden leiser. Nie konnte er der Angst sagen, wer er ist, aber er wollte nicht vor ihr wegrenne, er wollte Stolz weiter gehen. Er schöpfte aus der Schönheit der Natur seine Kraft. Keine Mächtigen, kein Gott gab ihm den Mut, weiter zu gehen, nur die reine Schönheit der Natur gab ihm in diesem Moment den Halt, wonach er sich immer gesehnt hatte. Sein ganzes Leben lang hatte er Angst vor der Stille, vor der Stille in seinem Kopf, aber die Waldbewohner nahmen ihm diese Angst. Er war das erste Mal im Leben furchtlos.
Auch wenn die Schritte hinter ihm immer leiser wurden, war da wieder für einen kurzen Moment die Unsicherheit, die Angst, der Eindringling in seinem Jetzt jagte ihn und ließ nicht von ihm ab. Also ging er weiter, immer weiter in den tiefen Wald hinein und er lächelte. Am Wegesrand taten sich eine Vielzahl an schönsten Blumen nebeneinander auf, Buschwindröschen, Maiglöckchen, Waldsauerklee und anderes Grün schmückten den Wegesrand in frohen, bunten Farben. Die Baumkronen gaben dem Frühlingswind leicht nach und bogen sich im Wind wie eine Wiege. Insekten tanzten um das Grün in den Lichtstrahlen der Sonne und hauchten dem Wald Leben ein.
Er setzte einen Schritt nach dem anderen, er hatte nicht vor, in der nächsten Zeit stehen zu bleiben. Vom Nichts getrieben ließ er die Schritte hinter sich immer leiser werden. Er wollte seinen Kopf nicht umdrehen, um nachzuschauen, wer oder was hinter ihm mitwanderte. War es ein anderer Wanderer, war es seine Angst oder seine Zukunft? Glück, Angst, Unsicherheit bei jedem Schritt, den er tat, wechselten sich seine Emotionen ab, aber Hauptsache die Schritte hinter ihm wurden, auch wenn nur für kurze Zeit leiser. Die Vergangenheit machte ihn glücklich, die Zukunft jagte ihm Furcht ein. Jedes Mal, wenn die Furcht ihn einholen wollte, rettete er sich in die Schönheit des Waldes, immer weiter auf den steinigen Waldweg. Zeit spielte schon längst keine Rolle mehr in seinem Leben, nach dem Anruf tickte seine Uhr anders als bei anderen. Der kühle Wind, der durch die Bäume wie ein Geist zwischen den Stämmen zog, kühlte seine mit kleinen Schweißperlen besetzte Stirn, und jedes Mal, wenn der Wind seine Stirn traf, schloss er die Augen, und dann dachte er sich.
So ergibt es Sinn.
Wie lange er auf den Pfad bereits wanderte, wusste er nicht, es spielte keine Rolle, für ihn fühlte es sich sowieso ewig an. Je tiefer er in den Wald zog und je dichter die Bäume aneinander standen, umso lauter wurden die Schritte hinter ihm. Sie wurden lauter und lauter, aber umdrehen kam nicht infrage.
Nach unzähligen Schritten bemerkte er ein Plätschern, eine Quelle des Lebens verlief neben dem Waldweg, die aus einer winzigen Quelle entsprang, bis sie als Bach den Weg traf und sich dem Pfad anschmiegte, wie ein Vertrauter. So wie der Bach floss und immer nach vorne strömte, so ging der Wanderer auch immer weiter nach vorne. Wie ein Teppich aus kleinsten Juwelen glitzerte das Wasser in der Sonne. So schön spielte das Bächlein seine Melodie und brachte die Perfektion zu Vollendung, dachte er sich. Nun schien es, waren sie zu dritt. Der Weg, der Bach und er, und hinter ihm kamen die Schritte, die immer näher kamen. Er tat es dem Bächlein gleich und strömte immer weiter und weiter, in Richtung Herz des Waldes. Auch wenn er sich beim Wandern in Glück wiegte, dachte er oft über diesen Anruf nach, und was es mit ihm gemacht hatte. Wie wird die Zukunft, gibt es überhaupt eine Zukunft für ihn? Worte, Worte, Worte, er musste immer so viele Worte ertragen, sodass er die Stille mittlerweile für einen himmlischen Zustand hielt. Der Weg, der Bach und er, und hinter ihm die Schritte. Die Glückseligkeit ist zum Greifen, aber die Schritte machten ihn nervös. Egal was auch passieren sollte, er nahm sich vor nicht zurück zuschauen, auch wenn die Schritte ihn fast eingeholt hatten. Er blickte auf eine Vergangenheit zurück, die außer einigen Tiefen so friedlich wie der Waldweg, auf dem er wanderte, gewesen war. Sein Blick wanderte durch die Baumkronen. Leichte Sonnenstrahlen drangen durch die dicke Blätterdecke und tauchte den Wald in sanftes Licht. Moos wuchs am Ufer des Bächleins und der Geruch von feuchte Moos drang in seine Nase und tröstete ihn wie eine vertraute Erinnerung aus jenen Tagen. Das Schauspiel des Waldes ließ ihm die Schritte, die sich bedrohlich näherten, für einen Bruchteil vergessen. Ein Lächeln schmückte sein Gesicht und er lief und lief, weil er es noch konnte.
Irgendwann trennte sich der Bach von ihm und dem Weg, sie waren wieder zu zweit und der Verfolger hielt Schritt. Sein Zeitgefühl war nun mit der Unendlichkeit verschmolzen. Mitten im paradiesischen Wald tat sich eine Lichtung auf, mittig befand sich ein kristallklarer See, der ihn wie eine Oase begrüßte und zum Verweilen einlud. Es war ein kleiner, aber bildschöner See. Das Wasser war glatt wie Eis, Fische schwammen ihre Bahnen, die Waldbewohner lebten in seliger Symbiose mit dem See und dem Wald. Er dachte sich, es muss der See sein, der alle Dichter inspiriert haben musste, es war der See, der die Definition Schönheit prägte, es war der See, der den himmlischen Frieden auf Erden holte. Schmetterlinge flogen am Ufer umher, Libellen patrouillierten über der ruhigen Wasseroberfläche, Wasserläufer glitten munter hin und her, der Froschchor am Ufer quakte unaufhaltsam, die Vögel stiegen im Chor mit ein, er vergaß alles, er war endlich angekommen. Als der Wanderer sich in das Gras setzte und seine Augen nicht von dem See abwenden konnte, fühlte er die Sonne auf seiner Haut, die die Schweißperlen trocknete und er lächelt zurück. Jetzt war es ihm egal, dass die Schritte, die ihm seit dem Anfang seiner Wanderung begleiteten, immer lauter wurden. Es schien, als wäre sein stiller Begleiter auch an seinem Ziel angekommen, denn er hörte, wie die Schritte hinter ihm plötzlich verstummten, jedoch wendete er seinen Blick nicht vom See ab. Als er kurz seine Augen schloss, um die Sonnenstrahlen aufzunehmen, spürte er eine Hand, die seine Schulter sanft berührte. Er erschrak nicht, im Gegenteil, er hatte darauf gewartet, dass die Hand eines Tages nach seiner Schulter greifen würden. Ein Lächeln, ein erleichterndes Aufatmen und dann war er bereit, sich umzudrehen, um seinen Begleiter in die Augen schauen zu können. Endlich konnte er sich freuen in die Augen seines Verfolgers zu blicken, denn eins wusste er, er würde ein Teil des Waldes werde.

ENDE